Ich bin erschüttert über die Beißvorfälle mit Tötungsfolge der letzten Woche durch Hunde. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer. Warum der Staffordshire Terrier das Kleinkind in den Kopf gebissen und „Chico“ seine beiden Besitzer getötet hat, was genau zur Eskalation der Situationen führte, werden wir nie ganz enträtseln können. Wir können mutmaßen und uns streiten, ob diese Hunde unter strengen Auflagen in sicheren Einrichtungen weiterleben sollen oder besser nicht, doch das löst das Kernproblem nicht. Denn was viel wichtiger ist: wir sollten dafür Sorge tragen, dass solche Tragödien wie in Hannover und gestern mit dem getöteten Säugling nicht wieder vorkommen. Wenn wir derartiges zukünftig wirklich verhindern möchten, dann müssen wir uns eines eingestehen: Chico ist kein Einzelfall. Er steht für alle missverstandenen Hunde, die irgendwann gefährlich werden könnten. Es sind Hunde, die bei Menschen leben, die es wahrscheinlich nicht besser wissen und potentiell riskante Situationen nicht richtig einschätzen können.

Angesichts solcher schrecklichen Vorfälle hilft uns keine Rechthaberei weiter, sondern eine ehrliche Analyse, was ein Hund ist und was er braucht, damit er nicht gefährlich wird. Ich liebe Hunde, ich arbeite täglich im Team mit ihnen, ich habe viele unterschiedliche Exemplare kennengelernt. Ich sage deutlich: Hunde haben riesengroße Potentiale: sie können bestenfalls zum fantastischen Begleiter und Helfer des Menschen oder schlimmstenfalls zur Gefahr werden.

In Deutschland leben zurzeit ungefähr 8.6 Millionen Hunde. Die allermeisten gehören der ersten Kategorie an: sie werden geliebt und gut versorgt, bringen Menschen täglich zum Lachen, haben einen festen Platz bei verantwortungsbewussten Menschen, sind freundliche Wesen und werden dafür von der großen Mehrheit unserer Gesellschaft sehr geschätzt. Die Besitzer dieser netten Hunde sind oft rücksichtsvoll und informiert, sie haben sich vor der Hundeanschaffung gründlich Gedanken gemacht, woher sie ihren Hund beziehen, sind mit dem Hund in die Hundeschule, in Welpen- dann in Junghundegruppen gegangen, sammeln eklige Hinterlassenschaften auf und suchen Rat bei Profis, wenn es Verhaltensprobleme gibt, um daran zu arbeiten. Die große Mehrheit der 8.6 Millionen Hunde in Deutschland sind deshalb ausgeglichene Wesen, besonders wenn sie ihre fantastische Nase oder ihre sozialen Fähigkeiten bei der Arbeit einsetzen dürfen, versteckte oder vermisste Personen suchen, Pflegebedürftige in Heimen besuchen und Lächeln in erstarrte Gesichter zaubern. Familienhunde schenken Familien Freude und sorgen als sozialer Katalysator für unendlich viele positive Gespräche zwischen einander fremden Menschen. Ich begegne ständig solchen tollen Hund-Mensch-Teams und das zeigt: Hunde haben die Anlage, zu einer großen Bereicherung für die Gesellschaft werden zu können, wenn sie bei entsprechend verantwortungsbewussten, informierten und engagierten Menschen leben.

Doch leider gibt´s wie überall unter der großen Gruppe der Hundehalter auch Menschen, die diesen Anspruch nicht wahrnehmen – selten aus schlechten Motivationen heraus, oft aus Unwissenheit. Diese Hunde stammen oft aus schlechter Herkunft, wo sie günstig gekauft werden konnten – wahre Schnäppchen, denkt man. Die Tiere haben ihre ersten Lebenswochen in dunklen Verschlägen verbracht, kostengünstig mit wenig Umweltreizen. Sie bringen deshalb von Haus aus Verhaltensprobleme mit sich. Aus Mangel an Wissen bekommen sie bei ihren neuen Besitzern oft keinen passenden sozialen Rückhalt, stattdessen erfahren sie eine mangelhafte Sozialisation und kaum oder keine Erziehung. Manche Hundebesitzer verhalten sich leider gleichzeitig ignorant gegenüber Mitbürgern, lassen haufenweise stinkende Hinterlassenschaften in der Öffentlichkeit liegen. Die Motive zur Anschaffung schwanken, dienen aber oft der Erfüllung eigener Bedürfnisse ohne zu beachten, dass der Hund ein Paket an Erwartungen mit in die Beziehung bringt. Manche Menschen möchten einen Hund haben, weil sie Hunde im Internet niedlich und lustig finden, andere wählen gezielt bestimmte Rassen, um damit ihr Selbstbild zu untermalen. Da gibt es Rassen, mit denen man gut andere beeindrucken kann. An diese Hunde wird aufgrund ihrer Rassezugehörigkeit eine bestimmte Erwartungshaltung herangetragen, die sich dann durch mangelhafte Sozialisation leider tatsächlich bestätigt. Andere Menschen suchen weniger einen sozialen Begleiter als ein passendes Accessoire fürs Outfit, oder möchten mit der Wahl einer exotischen Rasse ihre besondere Persönlichkeit oder extravaganten Lebensstil untermalen. Genau hier aber liegt der Hund begraben: Hunde eignen sich nicht als Selbstprojektion, sie können keine Verfehlungen im Leben auffangen, sie sind keine Ausstellungsstücke und keine Kuscheltiere.

Hunde sind soziale Wesen auf der Suche nach Orientierung, Zugehörigkeit und Spaß, aber auch ein bisschen Sinn im Leben. Also alles eigentlich ganz ähnlich wie bei uns. Diesen Bedürfnissen nach Nähe, Hundseindürfen, Richtungsweisung und Ausbildung müssen wir gerecht werden können.

Hundehaltung, um es klar zu sagen, ist nix für Jedermann. Sie erfordert eine große Portion soziale Kompetenz und Wissensaneignung vom Menschen. Wir müssen in der Lage sein, das Individuum Hund zu erkennen, das bei uns eingezogen ist und nicht nur das Statussymbol, den niedlichen Welpen oder hilfsbedürftigen Hund aus dem Tierschutz sehen. Ein Hund fragt täglich nach Orientierung und liebt es, zu lernen. Diese Herausforderung macht Spaß, aber muss vom Menschen gesehen und bewusst angenommen werden. Die Hundepersönlichkeit mit seinen rassespezifischen Anlagen muss vom Menschen erfasst und in ihrer Entwicklung gefördert werden. Dieser Aufgabe können wir nicht „so nebenbei“ gerecht werden, es ist eine Verantwortung, der ich mich bewusst stellen wollen muss.

Das ähnelt tatsächlich den Ansprüchen des Elterndaseins, nur mit einem entscheidenden Unterschied: bei Hunden hätte der Staat die Möglichkeit - und wie ich finde die Pflicht – Sachkenntnis einzufordern. Ich hebe hiermit freiwillig die Hand und erkläre mich bereit, regelmäßig – vielleicht alle zwei Jahre? – meine Sachkunde nachzuweisen und meine Hunde und mich auf verantwortungsvolles Auftreten in der Öffentlichkeit prüfen zu lassen.

Lassen wir mal den Gedanken freien Lauf, wie das idealerweise aussehen könnte. Ich komme zu Prüfern, die darauf achten, wie mein Hund und ich in einer merkwürdigen, leicht stressigen Situation auftreten. Jeder Hund ist anders, der eine wird freundlich und neugierig bleiben, der andere sich vielleicht verunsichert hinter seinem Menschen verstecken. Jetzt ist der Mensch gefragt: schätzt er seinen Hund richtig ein? Wie begegnet er der Situation, kann er seinen Hund kontrollieren, wie schafft er es sie zu bewältigen, wie geht er dabei auf seinen Hund ein? Wenn wir in solchen Prüfungen Hunde sehen, die sich nicht alle gleich wie Roboter verhalten aber zeigen sollen, dass sie sich vertrauensvoll am Menschen orientieren, abrufbar sind und auf Ansagen von ihrem Menschen warten, dann haben wir ein gut funktionierendes Mensch-Hund-Team vor uns. Alle anderen müssen Nachsitzen, die Hilfe von Hundetrainern in Anspruch nehmen und sich erneut prüfen lassen.

Diese regelmäßigen Checkups werden viele als nervig und Einschränkung der persönlichen Freiheit empfinden. Denen gebe ich jetzt schon mal recht. Finde ich eigentlich auch doof. Aber mir geht es um mehr als Kontrolle. Mir geht es um Sicherheit. Mir geht es um Hunde. Wenn Hundehaltung voraussetzt, dass ich Wissen sammeln, meinen Hund aufs Leben vorbereiten und erziehen muss, dann werden langfristig weniger Hunde ein missverstandenes Dasein wie Chico führen. Dann wird es weniger Hunde im Tierheim, stinkende Haufen, gefährliche Situationen oder schreckliche Vorfälle geben. Aber solange die bestehenden Regelungen nicht kontrolliert werden wie hier in Niedersachsen (ich bin noch nie nach unseren freiwillig absolvierten Begleithundeprüfungen oder Sachkundenachweisen gefragt worden) das Führen von Hunden durch Menschen ohne Wissen über Verhalten und Sozialisation von Hunden so leicht möglich ist, wird das Baby, die Halter von Chico und Chico selbst nicht die letzten Opfer gewesen sein. Lasst uns in Kauf nehmen, dass Hundehaltung mit mehr Aufwand verbunden sein muss, lasst uns Gelder, Zeit und Kräfte dort investieren, wo es Sinn macht: damit so etwas unbegreiflich Furchtbares hoffentlich nicht wieder passiert.